Dissertation   Wie kann man komplexe Themen wie Globalisierung oder europäische Integration vermitteln?

 

 

(» Ragnar Müller)

 » Home   » Feedback   » Suche   » Site Map     » Gliederung der Arbeit   » Ergebnisse der Arbeit

 

 



  Vermittlungs-
  probleme
:

» Globalisierung
» EU


  Forschungs-
  stand
:

» Politikdidaktik
» Globalisierung
» EU


  Policy-
  Didaktik
:

» Ziele
» Einordnung
» Beispiel


  Literatur und
  Links
:

» Politikdidaktik

» Globalisierung
» EU
 


 Grundprobleme der Vermittlung von Globalisierung (III):  

 Dynamik

"Die Menschheit bildet eine Einheit. Das lehrt uns deutlich die Gegenwart. Räumliche Entfernungen bilden kein Hindernis mehr für die Begegnung der Völker und Kulturen. Der Erdkreis ist durch die Mittel der Technik überschaubar geworden. Weltorganisationen sind entstanden, und man spricht vom Beginn des Weltzeitalters. Sicher ist, dass alle Völker aufeinander angewiesen sind; sie befinden sich 'in einem Boot'." - So beginnt das Vorwort zu einem Schulbuch für das Fach Geschichte aus dem Jahr 1955! [1]

Dynamik als Vermittlungsproblem beim Thema Globalisierung kann also nicht heißen, dass es für politische Bildner unmöglich sei, mit der
"globalisierenden" Dynamik der realen Entwicklungen Schritt zu halten. Wo liegt dann das Problem?

 Dynamik der Globalisierungsdebatte

Nach einer take-off-Phase zwischen 1987 und 1991 hat der Begriff Globalisierung ab 1992 seinen Siegeszug in den Sozialwissenschaften angetreten, wie das Schaubild [2] zeigt. Mit erstaunlich geringer zeitlicher Verzögerung fand er auch Eingang in die Debatten jenseits der Wissenschaft. [3] Die Wucht, mit der dies geschah, die Flut an Veröffentlichungen bildet das erste Vermittlungsproblem innerhalb der Kategorie "Dynamik".

Probleme der Vermittlung von Globalisierung:

» Einleitung

» Nationalstaats-Fixierung
» Distanz
» Dynamik
» Legenden
» Komplexität
» fehlende Referenzebene


Probleme der EU-Vermittlung:

» Einleitung

» Nationalstaats-Fixierung
» Distanz
» Dynamik
» Legenden
» Komplexität
» fehlende Referenzebene
 



Wichtiger aber sind Merkmale und Verlauf der dynamischen Debatte. Hauptmerkmal der Debatte - und das Grundproblem bei der Vermittlung von Globalisierung - bildet die Unklarheit des Begriffs, die an anderer Stelle thematisiert wird (» zum entsprechenden Abschnitt). Zum Verlauf führt Claus Leggewie aus:

"Die neuerdings zahlreichen kritischen Stellungnahmen zur Globalisierung könnten den Eindruck erwecken, diese habe überhaupt keine Befürworter mehr. Vor kurzem noch erschien Globalisierung ... alternativlos, mit ihr sollte die kapitalistische Utopie ... in Erfüllung gehen. Nun verrotten die Glanzprospekte, die Banken und Regierungen, die PR-Abteilungen der New Economy und die Werbeagenturen des globalen Dorfes erstellt haben. (...) [Die] Kritik der Straße mit Massendemonstrationen rund um den Erdball ... hat zu einer 'Umkehr der Beweislast' geführt, die Fortschritte der herkömmlichen Globalisierung mittlerweile begründungsbedürftiger erscheinen lässt als die Kritik daran." [4]


Wie wichtig die rhetorische Dimension der Thematik ist, zeigt auch die Tatsache, dass eine Dissertation zum Thema "Demokratie, Staat und Gesellschaft in der Globalisierung", die kürzlich von Hanne Weisensee vorgelegt wurde (Baden-Baden 2005), konsequent als Diskursanalyse (!) angelegt ist. Weisensee bringt Ordnung in die Debatte um Globalisierung, indem sie vier Diskursphasen unterscheidet, wie das folgende Schaubild zeigt:




 Folgeprobleme für die Vermittlung von Globalisierung

In relativ kurzer Zeit ist die - ohnehin kaum überschaubare - Debatte "gekippt". Zum einen scheinen im öffentlichen Diskurs zwischenzeitlich die "Globalisierungsgegner" die Oberhand gewonnen zu haben, zum zweiten hat sich die Situation insgesamt nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 und den nachfolgenden Anschlägen u.a. in London und Madrid verändert: Nachdem zuvor das Jahrhundert der Wirtschaft ausgerufen worden war, sind die klassischen (sicherheits-)politischen Themen auf der Tagesordnung wieder ganz nach oben gerückt.

Es versteht sich von selbst, dass daraus bedeutsame praktische, kognitive und didaktische Probleme resultieren, die analog auch für das Thema EU identifiziert werden können, dort allerdings betrifft die Dynamik im wesentlichen die ständige Veränderung des Mehrebenensystems selbst, weniger die Debatte über die EU (
» zum entsprechenden Abschnitt):

  • Schul- oder Lehrbücher sind - was den Stand der Debatte betrifft, weniger was die tatsächlichen Globalisierungsprozesse angeht - oft schon überholt, wenn sie auf den Markt kommen. Hinzu kommen praktische Probleme bei der Abfassung solcher Lehrwerke.
     

  • Lehrerinnen und Multiplikatoren müssten sich permanent weiterbilden, um mit der Entwicklung Schritt halten zu können. Dabei fehlt ein Führer durch den wild wuchernden Dschungel an Literatur zum Thema.
     

  • Dynamik und Ausmaße der Debatte zählen weiterhin zu den zentralen Ursachen für die Defizite in der Wissensvermittlungskette von der Fachwissenschaft über die Fachdidaktik zu den politischen Bildnerinnen, die an anderer Stelle im Rahmen dieser Arbeit am Beispiel der EU zur Sprache kommen (» zum entsprechenden Abschnitt). Welcher Vertreter der Fachdidaktik vermag der ausufernden Globalisierungsdebatte zu folgen, zumal sich diese im Rahmen verschiedener Disziplinen abspielt?

[Seitenanfang]
 


Anmerkungen:

[1]

HANS-GEORG FERNIS/HEINRICH HAVERKAMP, Grundzüge der Geschichte von der Urzeit bis zur Gegenwart, Frankfurt/Main, Berlin, Bonn 1955.
Häufig wird in diesem Kontext auch das - noch ein Jahrhundert früher entstandene - Manifest der Kommunistischen Partei zitiert, das sich in der Tat streckenweise wie ein Pamphlet zur Globalisierung liest: "Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. Überall muss sie sich einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen herstellen. Die Bourgeoisie hat durch ihre Exploitation des Weltmarkts die Produktion und Konsumtion aller Länder kosmopolitisch gestaltet. Sie hat zum großen Bedauern der Reaktionäre den nationalen Boden der Industrie unter den Füßen weggezogen. Die uralten nationalen Industrien sind vernichtet worden und werden noch täglich vernichtet. Sie werden verdrängt durch neue Industrien, deren Einführung eine Lebensfrage für alle zivilisierten Nationen wird, durch Industrien, die nicht mehr einheimische Rohstoffe, sondern den entlegensten Zonen angehörige Rohstoffe verarbeiten, und deren Fabrikate nicht mehr im Lande selbst, sondern in allen Weltteilen zugleich verbraucht werden (...). An die Stelle der alten lokalen und nationalen Selbstgenügsamkeit und Abgeschlossenheit tritt ein allseitiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneinander. Und wie in der materiellen, so auch in der geistigen Produktion. Die geistigen Erzeugnisse der einzelnen Nationen werden Gemeingut. Die nationale Einseitigkeit und Beschränktheit wird mehr und mehr unmöglich, und aus den vielen nationalen und lokalen Literaturen bildet sich eine Weltliteratur" (KARL MARX/FRIEDRICH ENGELS, Manifest der Kommunistischen Partei; u.a. in: Karl Marx, Die Frühschriften, Stuttgart 1971, S. 529).

[zurück zum Text]

 

[2]

Das Schaubild wurde - grafisch leicht verändert - entnommen aus:
HANS-DIETER EVERS, Die Globalisierung der epistemischen Kultur: Entwicklungstheorie und Wissensgesellschaft; in: Ulrich Menzel (Hg.), Vom Ewigen Frieden und vom Wohlstand der Nationen, Frankfurt/Main 2000, S. 400.

[zurück zum Text]

 

[3]

Jürgen Osterhammel/Niels P. Petersson bringen die Ursachen dafür in der äußerst gelungenen Kurzdarstellung der Globalisierungsdebatte im ersten Kapitel ihres Buches "Geschichte der Globalisierung" (München 2003) auf den Punkt: "Wenn sich die Medien philosophisch geben, ist der Begriff nicht fern. Er droht zu sprachlichem Imponiermaterial zu werden, um dessen genaue Bedeutung man sich wenig zu sorgen braucht, solange der Anschein des Tiefsinns skeptische Rückfragen abwehrt. Nun ist die allgemeine Beliebtheit von 'Globalisierung' jedoch mehr als das Symptom einer kollektiven Denkschwäche. Der Begriff füllt konkurrenzlos einen legitimen Platz: Er gibt der Epoche einen Namen. (...) Er schloß an Erfahrungen an, die viele Menschen machten. (...) So tief auch die Kluft zwischen den schwer durchschaubaren Zusammenhängen weltweiter wirtschaftlicher Verflechtung und den leicht zugänglichen Alltagserfahrungen von Entgrenzung sein mag - der Begriff der Globalisierung hat den großen Vorzug, beiden Seiten gerecht zu werden, Verstand und Gemüt auf einen Nenner zu bringen. Immer wieder bestätigt sich auch der triviale Kern, der sich im Inneren des Begriffs verbirgt: Die Welt wird zusehends 'kleiner', und Entferntes wird immer stärker miteinander verknüpft" (S. 7-8).
Ähnlich argumentiert auch Jörg Dürrschmidt: "Dass Globalisierung in der Alltagssprache und im Diskurs der Sozialwissenschaften gleichermaßen so populär werden konnte, hat sicherlich auch damit zu tun, dass dieser Begriff den Assoziationen des alltäglichen wie des abstrakten Denkens gleichermaßen zugänglich ist. Wohl kaum ein anderes Bild spricht unsere Vorstellungskraft und unser Verantwortungsgefühl so unmittelbar an wie das der majestätisch und doch zugleich so verletztlich im endlosen Weltraum dahindriftenden Erde" (Globalisierung, Bielefeld 2002, S. 5).

[zurück zum Text]

 

[4]

CLAUS LEGGEWIE, Die Globalisierung und ihre Gegner, München 2003, S. 50 und 52.
[zurück zum Text]

[Seitenanfang]
 

   

[Home]     [Feedback]     [Suche]     [Site Map]           [Vermittlungsprobleme]     [Forschungsstand]     [Policy-Didaktik]     [Literatur]