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Grundprobleme
der Vermittlung von Globalisierung (III):
Dynamik
"Die Menschheit bildet eine Einheit. Das lehrt uns deutlich die
Gegenwart. Räumliche Entfernungen bilden kein Hindernis mehr für
die Begegnung der Völker und Kulturen. Der Erdkreis ist durch die
Mittel der Technik überschaubar geworden. Weltorganisationen sind
entstanden, und man spricht vom Beginn des Weltzeitalters. Sicher
ist, dass alle Völker aufeinander angewiesen sind; sie befinden
sich 'in einem Boot'." - So beginnt das Vorwort zu einem Schulbuch
für das Fach Geschichte aus dem Jahr 1955! [1]
Dynamik als Vermittlungsproblem beim Thema Globalisierung kann
also nicht heißen, dass es für politische Bildner unmöglich sei,
mit der
"globalisierenden" Dynamik der realen Entwicklungen Schritt zu halten. Wo
liegt dann das Problem?
Dynamik der
Globalisierungsdebatte
Nach einer
take-off-Phase zwischen 1987 und 1991 hat der Begriff Globalisierung
ab 1992 seinen Siegeszug in den Sozialwissenschaften angetreten, wie
das Schaubild [2] zeigt. Mit erstaunlich geringer
zeitlicher Verzögerung fand er auch Eingang in die Debatten jenseits
der Wissenschaft. [3] Die Wucht, mit der dies
geschah, die Flut an Veröffentlichungen bildet das erste
Vermittlungsproblem innerhalb der Kategorie "Dynamik". |
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Wichtiger aber sind Merkmale und Verlauf der dynamischen Debatte.
Hauptmerkmal der Debatte - und das Grundproblem bei der
Vermittlung von Globalisierung - bildet die Unklarheit des Begriffs,
die an anderer Stelle thematisiert wird (»
zum
entsprechenden Abschnitt). Zum Verlauf führt Claus Leggewie aus:
"Die neuerdings zahlreichen kritischen Stellungnahmen zur
Globalisierung könnten den Eindruck erwecken, diese habe überhaupt
keine Befürworter mehr. Vor kurzem noch erschien Globalisierung ...
alternativlos, mit ihr sollte die kapitalistische Utopie ... in
Erfüllung gehen. Nun verrotten die Glanzprospekte, die Banken und
Regierungen, die PR-Abteilungen der New Economy und die Werbeagenturen
des globalen Dorfes erstellt haben. (...) [Die] Kritik der Straße mit
Massendemonstrationen rund um den Erdball ... hat zu einer 'Umkehr der
Beweislast' geführt, die Fortschritte der herkömmlichen Globalisierung
mittlerweile begründungsbedürftiger erscheinen lässt als die Kritik
daran." [4]
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Wie wichtig die rhetorische Dimension der Thematik ist, zeigt
auch die Tatsache, dass eine Dissertation zum Thema "Demokratie, Staat
und Gesellschaft in der Globalisierung", die kürzlich von Hanne
Weisensee vorgelegt wurde (Baden-Baden 2005), konsequent als
Diskursanalyse (!) angelegt ist. Weisensee bringt Ordnung in die
Debatte um Globalisierung, indem sie vier Diskursphasen unterscheidet,
wie das folgende Schaubild zeigt:
Folgeprobleme für die Vermittlung
von Globalisierung
In relativ kurzer
Zeit ist die - ohnehin kaum überschaubare - Debatte "gekippt".
Zum einen scheinen im öffentlichen Diskurs
zwischenzeitlich die "Globalisierungsgegner" die Oberhand gewonnen zu
haben, zum zweiten hat sich die Situation insgesamt nach den
Terroranschlägen vom 11. September 2001 und den nachfolgenden
Anschlägen u.a. in London und Madrid verändert: Nachdem zuvor das
Jahrhundert der Wirtschaft ausgerufen worden war, sind die klassischen
(sicherheits-)politischen Themen auf der Tagesordnung wieder ganz nach
oben gerückt.
Es versteht sich von selbst, dass
daraus bedeutsame praktische,
kognitive und didaktische Probleme resultieren, die
analog auch für das Thema EU identifiziert werden können, dort
allerdings betrifft die Dynamik im wesentlichen die ständige
Veränderung des Mehrebenensystems selbst, weniger die Debatte über die
EU (»
zum
entsprechenden Abschnitt):
-
Schul-
oder Lehrbücher sind - was den Stand der Debatte
betrifft, weniger was die tatsächlichen Globalisierungsprozesse
angeht - oft schon überholt, wenn sie auf den Markt
kommen. Hinzu kommen praktische Probleme bei der Abfassung
solcher Lehrwerke.
-
Lehrerinnen und Multiplikatoren müssten sich permanent
weiterbilden, um mit der Entwicklung Schritt halten zu können.
Dabei fehlt ein Führer durch den wild wuchernden
Dschungel an Literatur zum Thema.
-
Dynamik
und Ausmaße der Debatte
zählen weiterhin zu den zentralen
Ursachen für die Defizite in der Wissensvermittlungskette von
der Fachwissenschaft über die Fachdidaktik zu den politischen
Bildnerinnen, die an anderer Stelle im Rahmen dieser Arbeit
am Beispiel der EU zur
Sprache kommen (»
zum entsprechenden
Abschnitt). Welcher Vertreter der Fachdidaktik vermag der
ausufernden Globalisierungsdebatte zu folgen,
zumal sich diese im Rahmen verschiedener Disziplinen abspielt?
[Seitenanfang]
Anmerkungen:
[1] |
HANS-GEORG FERNIS/HEINRICH
HAVERKAMP, Grundzüge der Geschichte von der Urzeit bis zur
Gegenwart, Frankfurt/Main, Berlin, Bonn 1955.
Häufig wird in diesem Kontext auch das - noch ein Jahrhundert
früher entstandene - Manifest der Kommunistischen Partei zitiert,
das sich in der Tat streckenweise wie ein Pamphlet zur
Globalisierung liest: "Das Bedürfnis nach einem stets
ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über
die ganze Erdkugel. Überall muss sie sich einnisten, überall
anbauen, überall Verbindungen herstellen. Die Bourgeoisie hat
durch ihre Exploitation des Weltmarkts die Produktion und
Konsumtion aller Länder kosmopolitisch gestaltet. Sie hat zum
großen Bedauern der Reaktionäre den nationalen Boden der Industrie
unter den Füßen weggezogen. Die uralten nationalen Industrien sind
vernichtet worden und werden noch täglich vernichtet. Sie werden
verdrängt durch neue Industrien, deren Einführung eine Lebensfrage
für alle zivilisierten Nationen wird, durch Industrien, die nicht
mehr einheimische Rohstoffe, sondern den entlegensten Zonen
angehörige Rohstoffe verarbeiten, und deren Fabrikate nicht mehr
im Lande selbst, sondern in allen Weltteilen zugleich verbraucht
werden (...). An die Stelle der alten lokalen und nationalen
Selbstgenügsamkeit und Abgeschlossenheit tritt ein allseitiger
Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneinander.
Und wie in der materiellen, so auch in der geistigen Produktion.
Die geistigen Erzeugnisse der einzelnen Nationen werden Gemeingut.
Die nationale Einseitigkeit und Beschränktheit wird mehr und mehr
unmöglich, und aus den vielen nationalen und lokalen Literaturen
bildet sich eine Weltliteratur" (KARL MARX/FRIEDRICH ENGELS,
Manifest der Kommunistischen Partei; u.a. in: Karl Marx, Die
Frühschriften, Stuttgart 1971, S. 529).
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[2] |
Das Schaubild wurde - grafisch
leicht verändert - entnommen aus:
HANS-DIETER EVERS, Die Globalisierung der epistemischen Kultur:
Entwicklungstheorie und Wissensgesellschaft; in: Ulrich Menzel
(Hg.), Vom Ewigen Frieden und vom Wohlstand der Nationen,
Frankfurt/Main 2000, S. 400.
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[3] |
Jürgen Osterhammel/Niels
P. Petersson bringen die Ursachen dafür in der äußerst
gelungenen Kurzdarstellung der Globalisierungsdebatte im ersten
Kapitel ihres Buches "Geschichte der Globalisierung" (München
2003) auf den Punkt: "Wenn sich die Medien philosophisch geben,
ist der Begriff nicht fern. Er droht zu sprachlichem
Imponiermaterial zu werden, um dessen genaue Bedeutung man sich
wenig zu sorgen braucht, solange der Anschein des Tiefsinns
skeptische Rückfragen abwehrt. Nun ist die allgemeine Beliebtheit
von 'Globalisierung' jedoch mehr als das Symptom einer kollektiven
Denkschwäche. Der Begriff füllt konkurrenzlos einen legitimen
Platz: Er gibt der Epoche einen Namen. (...) Er schloß an
Erfahrungen an, die viele Menschen machten. (...) So tief auch die
Kluft zwischen den schwer durchschaubaren Zusammenhängen
weltweiter wirtschaftlicher Verflechtung und den leicht
zugänglichen Alltagserfahrungen von Entgrenzung sein mag - der
Begriff der Globalisierung hat den großen Vorzug, beiden Seiten
gerecht zu werden, Verstand und Gemüt auf einen Nenner zu bringen.
Immer wieder bestätigt sich auch der triviale Kern, der sich im
Inneren des Begriffs verbirgt: Die Welt wird zusehends 'kleiner',
und Entferntes wird immer stärker miteinander verknüpft" (S. 7-8).
Ähnlich argumentiert auch
Jörg Dürrschmidt: "Dass Globalisierung in der
Alltagssprache und im Diskurs der Sozialwissenschaften
gleichermaßen so populär werden konnte, hat sicherlich auch damit
zu tun, dass dieser Begriff den Assoziationen des alltäglichen wie
des abstrakten Denkens gleichermaßen zugänglich ist. Wohl kaum ein
anderes Bild spricht unsere Vorstellungskraft und unser
Verantwortungsgefühl so unmittelbar an wie das der majestätisch
und doch zugleich so verletztlich im endlosen Weltraum
dahindriftenden Erde" (Globalisierung, Bielefeld 2002, S. 5).
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[4] |
CLAUS LEGGEWIE, Die Globalisierung
und ihre Gegner, München 2003, S. 50 und 52.
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