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Ziele der Policy-Didaktik
Das Problem, um das es in dieser Arbeit geht, und damit das Problem,
zu dessen Lösung der Ansatz "Policy-Didaktik" beitragen soll,
lautet:
Wie kann man komplexe Themen wie EU oder Globalisierung vermitteln?
Angesichts der
Vermittlungsprobleme und angesichts der Defizite der
vorhandenen Ansätze (»
Forschungsstand) bin ich zu dem Schluss gelangt, dass
sich dieses Problem im Rahmen der bisherigen politikdidaktischen Vorgehensweise nicht mehr
lösen lässt.
Die komplexen Themen EU und Globalisierung, genauer: die mit
diesen Themen verbundenen grundlegenden Entgrenzungs- und
Transformationsphänomene sprengen diesen Rahmen. |
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Das leuchtet im Fall der Globalisierung unmittelbar ein, da es
keinen Weltstaat als neuen politischen Raum zur Lösung globaler
Probleme gibt, im Fall der EU aber existiert ein abgrenzbares
EU-System, es gibt also einen neuen politischen Raum. Deshalb
gestaltet sich die Argumentation für das Thema europäische
Integration schwieriger und zugleich interessanter, weswegen der
Anwendungsfall EU in diesem Abschnitt zur Policy-Didaktik den
Schwerpunkt bildet.
Grundidee der
Policy-Didaktik
Im folgenden Abschnitt wird ausgehend von einer Abgrenzung
zur traditionellen und europazentrierten Politikdidaktik die
Grundidee der Policy-Didaktik herausgearbeitet.
In der traditionellen Didaktik wird von Themen bzw. Politikfeldern
und von Systemen ausgegangen, wie es die Grafik veranschaulicht.
Diese Themen stehen weitgehend unverbunden nebeneinander. Insbesondere werden
keine ebenenübergreifenden Bezüge hergestellt.
Die EU - in aller Regel reduziert auf das Brüsseler
Institutionensystem [1] - bildet hier ein Thema neben anderen.
Dass das nicht mehr der Realität entspricht, ist mittlerweile
unübersehbar. Auf dieses Defizit reagiert das Konzept der
"europazentrierten Politikdidaktik".
[2]
Bei diesem Ansatz wird ebenfalls von Themen bzw. Politikfeldern und
von Systemen ausgegangen. Daran ändert sich nichts.
Nun wird aber die europäische Ebene einbezogen. Das heißt, die EU
ist Bestandteil eines jeden Themas mit europäischen Bezügen (»
EU
und Fachdidaktik). Das
bedeutet, dass beispielsweise das politische System der BRD
nicht mehr isoliert unterrichtet, sondern bei der Beschäftigung damit die EU
einbezogen wird.
Damit wird versucht, der Realität des Mehrebenensystems gerecht zu
werden.
Natürlich ist es so, dass die EU nicht immer die gleiche Rolle
spielt. Wenn es um Wirtschaftspolitik geht, ist der EU-Anteil
größer als bei der Bildungspolitik oder bei einer Einheit zu Krieg
und Frieden, wobei es natürlich auf den jeweils gewählten
Schwerpunkt ankommt.
Wie dieser Ansatz umgesetzt werden soll, darüber gibt es noch keine
Informationen. Sicherlich wird das nicht ganz einfach sein.
In jedem Fall markiert er einen Schritt in die richtige
Richtung, weist aber auch Defizite auf.
So bleibt unverständlich, warum das Konzept bei der europäischen
Ebene stehen bleibt und transatlantische, internationale bzw.
globale Ebene unterschlägt.
Außerdem basiert es auf einer sehr optimistischen Perzeption der EU-Forschung.
[3] Seine
Basis bildet nämlich ein "Konzept des Mehrebenensystems".
Dabei wird so getan, als wäre das eine ausformulierte Theorie der europäischen Integration bzw. der Politik
im EU-Europa.
Das ist aber nicht der Fall. Die
EU-Forschung ist hier viel bescheidener. [4] Mit
anderen Worten: Die Grundlage für die Umsetzung des Ansatzes
fehlt.
Wie sieht nun demgegenüber der Ansatz der Policy-Didaktik aus?
Er stimmt in manchem mit der europazentrierten Politikdidaktik
überein [5], geht aber einerseits über sie
hinaus, indem er versucht, alle Politikebenen einzubeziehen, und ist
andererseits bescheidener, indem er darauf verzichtet, das Ganze in den
Blick nehmen zu wollen.
Damit hat er einen anderen Ausgangspunkt. Es werden keine Systeme
mehr zum Thema gemacht, sondern Politikfelder bzw. Inhalte.
Im Vordergrund steht also nicht mehr eine Unterrichtseinheit zum
politischen System der BRD als Ganzem oder eine gesonderte Einheit
zur Europäischen Union als Ganzer.
Die Grundfrage lautet nicht mehr: Wie funktioniert die EU?
Stattdessen wird gefragt: Wie wird in der Umweltpolitik Politik gemacht?
Auf diese Weise werden exemplarisch einige Politikfelder behandelt,
und zwar – das ist der entscheidende Punkt – unter Berücksichtigung
aller relevanten Ebenen und vor allem der Verflechtungen zwischen
ihnen. Damit reagiert die Policy-Didaktik auf die
Bedeutung funktionaler Differenzierung, wie sie in der
Einleitung zu diesem Abschnitt
betont wurde.
Politikbegriff
Ihren Namen verdankt die Policy-Didaktik dem Umstand, dass sie
die inhaltliche Dimension von Politik (policy) zum
Ausgangspunkt nimmt. Das bedeutet aber keineswegs, dass sie sich
auf diese Dimension beschränkt. Der Policy-Didaktik liegt der
etablierte Politikbegriff zugrunde, der drei Politikdimensionen
unterscheidet: Institutionen (polity), Prozesse (politics)
und Inhalte (policy).
Diese drei Dimensionen gilt es auf
allen Ebenen zu untersuchen (außer natürlich auf der
individuellen Ebene, die eine besondere Stellung einnimmt). Im
Vergleich zur traditionellen Didaktik erfolgt jedoch eine
Akzentverschiebung. Steht dort die polity-Dimension im
Mittelpunkt, wertet die Policy-Didaktik dagegen die beiden
anderen Dimensionen auf (»
Einordnung der
Policy-Didaktik). Wie
das praktisch aussieht, zeigt der Abschnitt zur Umsetzung des
Ansatzes am Beispiel der Umweltpolitik.
Ziele des
Ansatzes
Das wesentliche Ziel der Policy-Didaktik besteht darin, Politik zu verstehen, wie sie heute
abläuft. Und da sind grundlegende Unterschiede auszumachen gegenüber dem
Politikverständnis, das den traditionellen didaktischen Ansätzen zugrundeliegt, die im Rahmen und für den Rahmen des Nationalstaats
entwickelt wurden.
Letztlich geht es darum, die politikwissenschaftliche Diskussion der
letzten rund 15 Jahre in die politische Bildung einzubringen, denn
das ist bislang nicht ausreichend geschehen.
Der Fokus liegt auf dem Mehrebenencharakter von
Politik und hier besonders auf dem Zusammenwirken der Ebenen, auf
den Netzwerken, in denen und mit deren Hilfe regiert wird.
Es ist wichtig, dass vermittelt wird, dass Politik auf verschiedenen
Ebenen gemacht wird, aber das ist nicht das Entscheidende. Das lernt
man auch jetzt schon.
Entscheidend ist, dass immer wieder beispielhaft deutlich wird, wie
eng die Ebenen verflochten sind. Was multi-level governance ausmacht, muss deutlich werden:
Diese Aspekte,
ohne die Politik im 21. Jahrhundert nicht zu verstehen ist, sind in der politischen Bildung noch nicht angekommen, und
das liegt wohl nicht zuletzt daran, dass der traditionellen
Politikdidaktik hier die Anschlussmöglichkeiten fehlen.
Letztlich geht es also darum, die Lücke zu schließen, die sich
zwischen politischer Bildung auf der einen Seite und ihrer
primären Bezugswissenschaft, der Politikwissenschaft, auf der
anderen Seite aufgetan hat.
[Seitenanfang]
Anmerkungen
[1] |
Vgl.
Joachim Detjen, "Europäische Unübersichtlichkeiten". Wie soll die politische
Bildung mit der Kompliziertheit und Intransparenz der Europäischen
Union umgehen?; in: Georg Weißeno (Hg.), Europa verstehen lernen.
Eine Aufgabe des Politikunterrichts, Bundeszentrale für politische
Bildung Schriftenreihe Band 423, Bonn 2004, v.a. S. 137-141.
Georg Weißeno,
Konturen einer europazentrierten Politikdidaktik - Europäische
Zusammenhänge verstehen lernen; in: ders. (Hg.), Europa verstehen
lernen. Eine Aufgabe des Politikunterrichts, Bundeszentrale für
politische Bildung Schriftenreihe Band 423, Bonn 2004, v.a. S.
113-122.
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[2] |
Dieses Konzept wird im folgenden
Aufsatz entwickelt:
Georg Weißeno,
Konturen einer europazentrierten Politikdidaktik - Europäische
Zusammenhänge verstehen lernen; in: ders. (Hg.), Europa verstehen
lernen. Eine Aufgabe des Politikunterrichts, Bundeszentrale für
politische Bildung Schriftenreihe Band 423, Bonn 2004, S. 108-125.
Eine Diskussion des Ansatzes findet sich im Abschnitt "EU
und Fachdidaktik".
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[3] |
Die optimistische Sicht kommt u.a.
in folgendem Zitat zum Ausdruck: "Das fachliche Fundament
ist da, auf dem ein europazentrierter Unterricht konzipiert
werden kann" (Georg Weißeno,
Konturen einer europazentrierten Politikdidaktik - Europäische
Zusammenhänge verstehen lernen; in: ders. (Hg.), Europa verstehen
lernen. Eine Aufgabe des Politikunterrichts, Bundeszentrale für
politische Bildung Schriftenreihe Band 423, Bonn 2004, S. 115).
Dem ist entgegenzuhalten, dass selbst universitäre Lehrbücher
zum politischen System der BRD weit davon entfernt sind, die
Mehrebenenverflechtung systematisch in die Darstellung
miteinzubeziehen, wenn die europäische Ebene überhaupt eine
nennenswerte Rolle in der Darstellung spielt.
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[4] |
Nach
wie vor grundlegend zur Diskussion des EU-Mehrebenensystems:
Markus Jachtenfuchs/Beate
Kohler-Koch, Regieren im dynamischen Mehrebenensystem; in:
dies. (Hg.), Europäische Integration, Opladen 1996, S. 15-44.
Mit "Mehrebenensystem" wird keine fest
umrissene analytische Kategorie und schon gar keine Theorie
bezeichnet. Das Gegenteil ist der Fall, wie die folgenden Zitate
stellvertretend für viele skeptische Stimmen zeigen sollen: "Die zunehmend
inflationäre Verwendung der Begriffe des 'Mehrebenensystems' und
der 'Multi-Level Governance' kann freilich nicht darüber
hinwegtäuschen, dass diese Begriffe derzeit wenig mehr sind als
eine deskriptive Metapher" (EDGAR GRANDE, Multi-Level Governance:
Institutionelle Besonderheiten und Funktionsbedingungen des
europäischen Mehrebenensystems; in: ders./Markus Jachtenfuchs
(Hg.), Wie problemlösungsfähig ist die EU? Regieren im
europäischen Mehrebenensystem, Baden-Baden 2000, S. 12). In die
gleiche Richtung weist die Kritik von Arthur Benz: "Der Begriff
des Mehrebenensystems ist bislang wenig präzise und weist
bestenfalls eine Richtung für die Analyse. Klare Aussagen über die
Funktionsweise und Eigendynamik dieser nicht-hierarchischen
Strukturen findet man kaum" (ARTHUR BENZ, Politikverflechtung ohne
Politikverflechtungsfalle. Koordination und Strukturdynamik im
europäischen Mehrebenensystem; in: Politische Vierteljahresschrift
39, 1998, S. 359).
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[5] |
Übereinstimmung herrscht
insbesondere in folgenden Punkten: "Politikwissenschaftliche
Überlegungen zum Mehrebenensystem lassen es als obsolet
erscheinen, Europa als quasi außenpolitischen Gegenstand zu
betrachten. Die Verwobenheit lässt Europa zunehmend einen
innenpolitischen Gegenstand aller Mitgliedsländer werden. Es ist
deshalb nicht mehr gerechtfertigt, die Institutionen und
Politikfelder der Bundesrepublik und der Europäischen Union
immer nur nebeneinander zu behandeln. Die traditionelle
Unterrichtssequenz über die Europäische Union ist eigentlich
obsolet geworden, denn die europäischen Themen sind zugleich
nationale" (S. 112). Allerdings scheint Weißeno die Tragweite
dieses Sachverhalts zu unterschätzen, wenn er kurz darauf
ausführt: "Eine europazentrierte Politikdidaktik erfordert kein
umfassend neues Konzept" (S. 113). Obwohl Weißeno der
traditionellen Politikdidaktik vorwirft, national verhaftet zu
sein, scheint das Gleiche in abgeschwächtem Maße auch von seinem
Konzept der europazentrierten Politikdidaktik zu gelten, wenn er
schreibt: "Ein europazentrierter Politikunterricht integriert
permanent die europäischen Diskussionszusammenhänge in die
Aufarbeitung 'nationaler' Themen" (S. 124). Das würde bedeutet,
dass sich an den Themen nichts ändert, dass sogar auf eine
Unterrichtseinheit zur Europäischen Union verzichtet werden kann,
also nur noch "nationale Themen" unterrichtet werden, diese
allerdings angereichert um "europäische Diskussionszusammenhänge",
was immer man sich darunter vorstellen soll. Festzuhalten bleibt,
dass Weißeno zuzustimmen ist, wenn er für eine "Perspektivenerweiterung"
(S. 123) um die europäische Ebene plädiert. Alles weitere
scheint noch nicht zu Ende gedacht zu sein und weist
Widersprüche auf.
(Alle Zitate aus: Georg Weißeno,
Konturen einer europazentrierten Politikdidaktik - Europäische
Zusammenhänge verstehen lernen; in: ders. (Hg.), Europa verstehen
lernen. Eine Aufgabe des Politikunterrichts, Bundeszentrale für
politische Bildung Schriftenreihe Band 423, Bonn 2004, S.
108-125.)
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