Dass bei der Bearbeitung globaler Probleme wie Klimawandel oder der
zunehmenden Kluft zwischen Arm und Reich dem Bereich der Bildung eine
Schlüsselrolle zukommt, kann seit der Verabschiedung der Agenda 21 auf
der Weltkonferenz für Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro
als Gemeingut gelten. Hier allerdings ist - insbesondere im
einschlägigen Kapitel 36 - von "Bildung für nachhaltige Entwicklung"
die Rede. [3]
Verwandte Konzepte
2005 hat die UN-Dekade "Bildung für nachhaltige Entwicklung" begonnen.
Zur lead agency bei der Umsetzung der mit dieser Dekade
verbundenen Ziele wurde die UNESCO ernannt. Bereits 2003 hat die
Deutsche UNESCO-Kommission Vorschläge für Jahresthemen unterbreitet,
die in der folgenden Tabelle den Themen einer wichtigen Publikation
zum Globalen Lernen gegenübergestellt werden.
Jahresthemen-Vorschläge der
Deutschen
UNESCO-Kommission für die Dekade "Bildung für
nachhaltige Entwicklung" [4]
|
Themenvielfalt im
Buch "Welt ... Sichten. Die Vielfalt des Globalen Lernens"
(Günther Gugel/Uli Jäger,
Institut für Friedenspädagogik Tübingen 1999) |
-
Konsumverhalten und nachhaltiges
Wirtschaften
-
Kulturelle Vielfalt
-
Gesundheit und Lebensqualität
-
Wasser- und Energieversorgung
-
Biosphärenreservate als Lernorte
-
Welterbestätten als Lernorte
-
Nachhaltigkeitslernen in der
Wissensgesellschaft
-
Bürgerbeteiligung und "good
governance"
-
Armutsbekämpfung durch nachhaltige
Entwicklungsprojekte
-
Gerechtigkeit zwischen den
Generationen: Menschenrechte und ethische Orientierung
|
-
globale Gefährdungen (Armut,
Migration, Bevölkerungswachstum, Klimawandel)
-
Zukunftsfähigkeit (Verkehr,
Energie, Lokale Agenda 21, FairTrade)
-
interkulturelles Lernen
(Wahrnehmung, Stereotype)
-
Weltbilder und Weltkarten (Vision
"Eine Welt")
-
Entwicklung (Entwicklungshilfe und
-länder, Indikatoren)
-
Medien, Werbung, Konsum
-
Neue Medien (Internet,
Wissensgesellschaft)
-
Tourismus (Reisen,
Schulpartnerschaft)
-
friedlicher Konfliktaustrag
(Zivilisierung von Konflikten, Weltethos, "Kampf der Kulturen")
-
globales Handeln (humanitäre
Intervention, NGO, Menschenrechte) [5]
|
Es
wird deutlich, dass sich die Gemeinsamkeiten nicht in einer
Schnittmenge erschöpfen, sondern vielmehr von einer Austauschbarkeit
beider Konzepte ausgegangen werden kann. Hintergrund hierfür ist, dass
sich der Begriff sustainability (Nachhaltigkeit), mehr noch
sustainable development (nachhaltige Entwicklung) von der
ursprünglichen Begrenztheit auf "Umweltthemen" emanzipiert hat und im
Sinne des "magischen Dreiecks der Nachhaltigkeit" (Ökonomie - Ökologie
- Soziales) ein sehr breites Themenspektrum abdeckt, wie an anderer
Stelle ausgeführt wurde. [6]
Außerdem wurzeln beide Konzepte in der development education
(Entwicklungspädagogik bzw. entwicklungspolitische Bildung), die
"weltpolitische Horizonterweiterung und den Blick über den Tellerrand
nationaler Problemlagen ausdrücklich zum pädagogischen Programm
erhebt." [7]
Ziele des Globalen Lernens
Klaus Seitz sieht den Ansatz des Globalen Lernens als
Weiterentwicklung der entwicklungspolitischen Bildung im Sinne einer
"Integrationsformel für den Versuch der Zusammenführung von
entwicklungspolitischer Bildung, Umweltbildung und interkulturellem
Lernen", das "Menschen dazu befähigen und dazu ermutigen [möchte], an
der Gestaltung der Weltgesellschaft sachkundig und
verantwortungsbewusst teilzuhaben. Es zielt auf eine Form des Lernens
und eine Weise den Denkens, die es erlauben, lokale Gegebenheiten in
ihrer Einbindung in den globalen Kontext wahrzunehmen, und dazu
befähigen, lokales Handeln in Einklang mit globalen Erfordernissen zu
bringen." [8]
Abzuwarten bleibt, ob sich der Ansatz Globales Lernen halten kann oder
ob er durch die vielfältigen Aktivitäten im Rahmen der UN-Dekade vom Konzept "Bildung für nachhaltige Entwicklung" verdrängt wird. Für
die im folgenden zu skizzierenden Probleme spielt das eine
untergeordnete Rolle, denn sie betreffen beide Ansätze gleichermaßen.
Probleme des Ansatzes
Globales Lernen verfolgt anspruchsvolle Ziele, die in der Regel sehr
allgemein formuliert werden. Lernen, Denken und (national verhafteter)
Bildungsbegriff sollen revolutioniert werden; es geht darum,
"Perspektiven einer kosmopolitischen Demokratie zu eröffnen und ein
weltbürgerliches Bewusstsein zu stärken." [9] Hier
besteht die Gefahr, dass die Didaktik der Bezugswissenschaft enteilt.
Zumindest was Perspektiven einer "kosmopolitischen Demokratie"
betrifft, stecken entsprechende Bemühungen in der Politikwissenschaft
und politischen Philosophie noch in den Kinderschuhen.
[10]
Beck und Lange warten mit einer vergleichbar ambitionierten
Zielperspektive auf: "Die normative Leitidee globalen Lernens im
sozialwissenschaftlichen Unterricht kann nur im 'mündigen Weltbürger'
gesehen werden." [11] Dass die wenig
aussagekräftige Formel vom "mündigen Bürger" eine allgemein anerkannte
Zielperspektive der politischen Bildung darstellt, wird an anderer
Stelle im Rahmen dieser Arbeit aufgezeigt und diskutiert (»
Aufgaben und
Ziele der politischen Bildung). Dort wird auch die Unbestimmtheit
der Formel problematisiert, die durch die von Beck und Lange
vorgenommene Ersetzung des "Bürgers" durch den "Weltbürger" noch
potenziert wird.
Soll Globales Lernen die pädagogische Antwort auf die
Herausforderungen der Globalisierung sein, fängt das Problem nicht
erst bei der Antwort, sondern bereits bei der Frage an. Welche
Globalisierung ist gemeint? Der "Mythos Globalisierung" von
Hirst/Thompson [12], die unausweichliche
Globalisierung neoliberaler Prägung [13], die
Glokalisierung eines Robertson [14] etc. Die Liste
ließe sich beliebig verlängern. Wer auf eine solch unbestimmte Frage
eine Antwort zu geben versucht, ist wirklich nicht zu beneiden.
[15]
Ein Zuviel an Zielen, Themen und Verknüpfungen scheint den Kern des
Problems auszumachen, denn die Aspekte und Methoden stehen unverbunden
nebeneinander. "Alles ist 'global' und hängt irgendwie zusammen." Es
"bleibt unklar, was die gemeinsame Schnittmenge, die man als 'Globales
Lernen' bezeichnen könnte, originär charakterisiert."
[16] Die geschilderten und weitere Defizite führen Klaus-Peter
Hufer zu dem Fazit: "Globales Lernen ist in den Intentionen
zwiespältig, im Gebrauch widersprüchlich, als Konzept inkonsistent und
als pädagogische Idee höchst unklar." [17]
Folgerungen für diese Arbeit
Analog zur Betrachtung vorhandener didaktischer Ansätze zur
EU-Vermittlung (»
EU
und Politikdidaktik) muss auch beim anderen komplexen "Großthema",
der Globalisierung, festgestellt werden, dass (noch) keine
ausgearbeiteten Modelle zur Verfügung stehen. Die (wenigen) bislang
publizierten Titel enthalten im wesentlichen sehr allgemeine, dafür
aber umso ambitioniertere Zielentwürfe. Dem Konzept der
"europazentrierten Politikdidaktik" dort, steht hier das Konzept
"Globales Lernen" gegenüber. Beide Konzepte befinden sich auf einer
Entwicklungsstufe, die es sehr schwierig macht, konkrete
Hilfestellungen bei der Vermittlung der komplexen Themen EU und
Globalisierung aus ihnen abzuleiten. Werden überhaupt Empfehlungen für
die politische Bildungsarbeit abgegeben, so bleiben diese sehr
allgemein und knapp. [18]
Interessant ist auch, dass beide Konzepte einander ignorieren. Die
"europazentrierte Politikdidaktik" will Europa in die Behandlung
(bislang) nationaler Themen implizieren (»
EU und
Fachdidaktik), um dem Mehrebenencharakter von Politik gerecht zu
werden, bleibt aber auf der europäischen Ebene stehen, ohne die
globale Ebene in den Blick zu nehmen. Dagegen wäre eine
"mehrebenenadäquate Politikdidaktik" zu konzipieren, die sowohl
europäische als auch globale Ebene einschließt.
Umgekehrt findet man im Konzept des Globalen Lernens eine Fülle an
Themen aus den Bereichen Demokratie- und Menschenrechtserziehung,
entwicklungspolitischer und interkultureller Bildung, man findet aber
oftmals überhaupt keine, zumindest in keinem Fall eine systematische
Berücksichtigung der europäischen Politikebene. Die enge und partiell
paradoxe Verflechtung von Globalisierung und (europäischer)
Regionalisierung, wie sie
an anderer Stelle im Rahmen dieser Arbeit dargestellt wird, wird in beiden Konzepten nicht ausreichend
reflektiert.
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Anmerkungen:
[1] |
TORSTEN HUSÉN/NEVILLE T.
POSTLETHWAITE, The International Encyclopedia of Education, Oxford
1989.
[zurück zum Text]
|
[2] |
KLAUS SEITZ, Lernen für ein globales
Zeitalter. Zur Neuorientierung der politischen Bildung in der
postnationalen Konstellation; in: Christoph Butterwegge/Gudrun
Hentges, (Hg.), Politische Bildung und Globalisierung, Opladen
2002, S. 45.
Ausführlich und systematisch entwickelt Klaus Seitz seinen
Ansatz in der mittlerweile zum Standardwerk avancierten
Monographie: Klaus Seitz,
Bildung in der Weltgesellschaft. Gesellschaftstheoretische
Grundlagen Globalen Lernens, Frankfurt/Main, 2002.
[zurück zum Text]
|
[3] |
Eine deutsche Übersetzung des
umfangreichen und bedeutsamen Dokuments "AGENDA 21" findet man
u.a. im Online-Angebot des Bundesministeriums für Umwelt,
Naturschutz und
Reaktorsicherheit unter folgender Adresse:
http://www.bmu.de/de/1024/js/download/b_agenda21/.
Der
Originaltext steht u.a. auf der UNEP-Website zur Verfügung:
http://www.unep.org/Documents.multilingual/Default.asp?DocumentID=52
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|
[4] |
Hamburger Erklärung
der Deutschen UNESCO-Kommission zur Dekade der Vereinten Nationen
"Bildung für nachhaltige Entwicklung" vom 11. Juli 2003;
http://www.unesco.de/c_bibliothek/erkl_hv63.htm
[zurück zum Text]
|
[5] |
Diese Auflistung der im Buch und der
zugehörigen CD-ROM "Global Lernen" behandelten Themen ist
angelehnt an: KLAUS-PETER HUFER, Zwischen Globalität und
Lokalität: Dilemma und Chance außerschulischer politischer
Bildung; in: Christoph Butterwegge/Gudrun Hentges, (Hg.),
Politische Bildung und Globalisierung, Opladen 2002, S. 64-65.
[zurück zum Text]
|
[6] |
RAGNAR MÜLLER, Nachhaltigkeit,
Internationaler UNESCO
Bildungsserver D@dalos
2005,
http://www.dadalos-d.org/nachhaltigkeit/.
Auf den engen Zusammenhang der Konzepte "Globales Lernen"
und "Bildung für nachhaltige Entwicklung" verweist auch der
Titel von Band 23 der vom Forum Politische Bildung in Österreich
herausgegebenen "Informationen zur Politischen Bildung": "Globales
Lernen - Politische Bildung. Beiträge zu einer nachhaltigen
Entwicklung" (Studien-Verlag, Innsbruck u.a. 2005); vgl.
außerdem stellvertretend für viele ähnliche Argumentationen:
Annette Scheunpflug, Bildung für eine globalisierte
Weltgesellschaft, in: Außerschulische Bildung, 3/1999, S. 281-286.
[zurück zum Text]
|
[7] |
KLAUS SEITZ, Lernen für ein globales
Zeitalter. Zur Neuorientierung der politischen Bildung in der
postnationalen Konstellation; in: Christoph Butterwegge/Gudrun
Hentges, (Hg.), Politische Bildung und Globalisierung, Opladen
2002, S. 49.
Grundlegend zur entwicklungspolitischen Bildung in Deutschland:
Gottfried
Böttger/Siegfried Frech (Hg.), Der Nord-Süd-Konflikt in der
politischen Bildung, Schwalbach/Ts. 1996.
[zurück zum Text]
|
[8] |
KLAUS SEITZ, Lernen für ein globales
Zeitalter. Zur Neuorientierung der politischen Bildung in der
postnationalen Konstellation; in: Christoph Butterwegge/Gudrun
Hentges, (Hg.), Politische Bildung und Globalisierung, Opladen
2002, S. 50.
[zurück zum Text]
|
[9] |
KLAUS SEITZ, Lernen für ein globales
Zeitalter. Zur Neuorientierung der politischen Bildung in der
postnationalen Konstellation; in: Christoph Butterwegge/Gudrun
Hentges, (Hg.), Politische Bildung und Globalisierung, Opladen
2002, S. 47.
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|
[10] |
Zum Thema "kosmopolitische
Demokratie" nach wie vor grundlegend:
DAVID HELD,
Democracy and the Global Order. From the Modern State to
Cosmopolitan Governance, Cambridge
1995.
DAVID HELD
(Hg.),
Cosmopolitan Democracy, Cambridge
1995.
Weitere Titel zum Thema finden
sich im Rahmen des Literaturverzeichnisses
(»
Literatur zur Globalisierung).
Grundlegend für die politische Philosophie:
OTFRIED HÖFFE,
Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, München
1999.
[zurück zum Text]
|
[11] |
ULRICH BECK/DIRK
LANGE, Globalisierung und Politische Bildung; in: Praxis
Politik 1/2005, S. 11.
[zurück zum Text]
|
[12] |
Paul Hirst/Grahame
Thompson, Globalization in Question. The International
Economy and the Possibilities of Governance, Cambridge 1996/19992.
[zurück zum Text]
|
[13] |
Stellvertretend für unzählige
Veröffentlichungen:
Kenichi Ohmae, Die
neue Logik der Weltwirtschaft – Zukunftsstrategien internationaler
Konzerne, Hamburg 1992.
[zurück zum Text]
|
[14] |
Roland Robertson,
Globalization: Social Theory and Global Culture, London 1992.
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|
[15] |
ULRICH BECK ist zuzustimmen, wenn er
ausführt: "Globalisierung ist sicher das am meisten gebrauchte -
missbrauchte - und am seltensten definierte, wahrscheinlich
missverständlichste, nebulöseste und politisch wirkungsvollste
(Schlag- und Streit-) Wort der letzten, aber auch der kommenden
Jahre" (Was ist Globalisierung? Irrtümer des Globalismus -
Antworten auf Globalisierung, Frankfurt/Main 1997, S. 42).
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|
[16] |
KLAUS-PETER HUFER, Zwischen
Globalität und Lokalität: Dilemma und Chance außerschulischer
politischer Bildung; in: Christoph Butterwegge/Gudrun Hentges,
(Hg.), Politische Bildung und Globalisierung, Opladen 2002, S. 65
und 64.
[zurück zum Text]
|
[17] |
KLAUS-PETER HUFER, Zwischen Globalität und Lokalität: Dilemma und
Chance außerschulischer politischer Bildung; in: Christoph
Butterwegge/Gudrun Hentges (Hg.), Politische Bildung und
Globalisierung, Opladen 2002, S. 67.
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|
[18] |
Beispiele finden sich bei
KLAUS-PETER HUFER, Zwischen Globalität und Lokalität: Dilemma und
Chance außerschulischer politischer Bildung; in: Christoph
Butterwegge/Gudrun Hentges (Hg.), Politische Bildung und
Globalisierung, Opladen 2002, S. 61-65, der ausführt: "Einerseits
stehen wir vor einer Publikationslawine von analytischen bzw.
feuilletonistischen Bemühungen, Globalisierung zu definieren,
darzustellen, zu relativieren, zu widerlegen, hoffnungsvoll zu
prognostizieren oder davor zu warnen. (...) Andererseits steht dem
eine frappierende Dürftigkeit an handlungsanimierenden
Konsequenzen, besonders im Bereich der Bildung, gegenüber" (S.
61). Wird doch einmal der Versuch unternommen, Hinweise zur
Vermittlung des komplexen Themas Globalisierung zu geben, hört
sich das typischerweise folgendermaßen an: "Der überwiegend
argumentativ-rational verfahrende Unterricht ist um
sinnlich-emotionale Formen, z.B. Rollen- und Planspiele,
Zukunftswerkstätten, Projektarbeit, Dokumentationen, Videoarbeit,
Besuche, Begegnungen und Gespräche mit Zeitzeug(inn)en, zu
ergänzen, ohne dass die Vermittlung von Wissen bzw. politischen
Informationen darunter leiden darf" (CHRISTOPH BUTTERWEGGE,
"Globalisierung, Standortsicherung und Sozialstaat" als Thema der
politischen Bildung; in: ders./Gudrun Hentges, (Hg.), Politische
Bildung und Globalisierung, Opladen 2002, S. 101).
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