Dissertation   Wie kann man komplexe Themen wie Globalisierung oder europäische Integration vermitteln?

 

 

(» Ragnar Müller)

 » Home   » Feedback   » Suche   » Site Map     » Gliederung der Arbeit   » Ergebnisse der Arbeit

 

 



  Vermittlungs-
  probleme
:

» Globalisierung
» EU


  Forschungs-
  stand
:

» Politikdidaktik
» Globalisierung
» EU


  Policy-
  Didaktik
:

» Ziele
» Einordnung
» Beispiel


  Literatur und
  Links
:

» Politikdidaktik

» Globalisierung
» EU
 


 Ziele der Policy-Didaktik

Das Problem, um das es in dieser Arbeit geht, und damit das Problem, zu dessen Lösung der Ansatz "Policy-Didaktik" beitragen soll, lautet: Wie kann man komplexe Themen wie EU oder Globalisierung vermitteln?

Angesichts der Vermittlungsprobleme und angesichts der Defizite der vorhandenen Ansätze (
» Forschungsstand) bin ich zu dem Schluss gelangt, dass sich dieses Problem im Rahmen der bisherigen politikdidaktischen Vorgehensweise nicht mehr lösen lässt.

Die komplexen Themen EU und Globalisierung, genauer: die mit diesen Themen verbundenen grundlegenden Entgrenzungs- und Transformationsphänomene sprengen diesen Rahmen.


Policy-Didaktik:


» Einleitung

» Ziele des Ansatzes

» Einordnung des Ansatzes

» Beispiel für die Umsetzung
 

Das leuchtet im Fall der Globalisierung unmittelbar ein, da es keinen Weltstaat als neuen politischen Raum zur Lösung globaler Probleme gibt, im Fall der EU aber existiert ein abgrenzbares EU-System, es gibt also einen neuen politischen Raum. Deshalb gestaltet sich die Argumentation für das Thema europäische Integration schwieriger und zugleich interessanter, weswegen der Anwendungsfall EU in diesem Abschnitt zur Policy-Didaktik den Schwerpunkt bildet.

 Grundidee der Policy-Didaktik

Im folgenden Abschnitt wird ausgehend von einer Abgrenzung zur traditionellen und europazentrierten Politikdidaktik die Grundidee der Policy-Didaktik herausgearbeitet.



In der traditionellen Didaktik wird von Themen bzw. Politikfeldern und von Systemen ausgegangen, wie es die Grafik veranschaulicht. Diese Themen stehen weitgehend unverbunden nebeneinander. Insbesondere werden keine ebenenübergreifenden Bezüge hergestellt. Die EU - in aller Regel reduziert auf das Brüsseler Institutionensystem [1] - bildet hier ein Thema neben anderen. Dass das nicht mehr der Realität entspricht, ist mittlerweile unübersehbar. Auf dieses Defizit reagiert das Konzept der "europazentrierten Politikdidaktik". [2]



Bei diesem Ansatz wird ebenfalls von Themen bzw. Politikfeldern und von Systemen ausgegangen. Daran ändert sich nichts. Nun wird aber die europäische Ebene einbezogen. Das heißt, die EU ist Bestandteil eines jeden Themas mit europäischen Bezügen (
» EU und Fachdidaktik). Das bedeutet, dass beispielsweise das politische System der BRD nicht mehr isoliert unterrichtet, sondern bei der Beschäftigung damit die EU einbezogen wird. Damit wird versucht, der Realität des Mehrebenensystems gerecht zu werden.

Natürlich ist es so, dass die EU nicht immer die gleiche Rolle spielt. Wenn es um Wirtschaftspolitik geht, ist der EU-Anteil größer als bei der Bildungspolitik oder bei einer Einheit zu Krieg und Frieden, wobei es natürlich auf den jeweils gewählten Schwerpunkt ankommt. Wie dieser Ansatz umgesetzt werden soll, darüber gibt es noch keine Informationen. Sicherlich wird das nicht ganz einfach sein. In jedem Fall markiert er einen Schritt in die richtige Richtung, weist aber auch Defizite auf.

So bleibt unverständlich, warum das Konzept bei der europäischen Ebene stehen bleibt und transatlantische, internationale bzw. globale Ebene unterschlägt. Außerdem basiert es auf einer sehr optimistischen Perzeption der EU-Forschung. [3] Seine Basis bildet nämlich ein "Konzept des Mehrebenensystems". Dabei wird so getan, als wäre das eine ausformulierte Theorie der europäischen Integration bzw. der Politik im EU-Europa. Das ist aber nicht der Fall. Die EU-Forschung ist hier viel bescheidener. [4] Mit anderen Worten: Die Grundlage für die Umsetzung des Ansatzes fehlt.

Wie sieht nun demgegenüber der Ansatz der Policy-Didaktik aus? Er stimmt in manchem mit der europazentrierten Politikdidaktik überein [5], geht aber einerseits über sie hinaus, indem er versucht, alle Politikebenen einzubeziehen, und ist andererseits bescheidener, indem er darauf verzichtet, das Ganze in den Blick nehmen zu wollen. Damit hat er einen anderen Ausgangspunkt. Es werden keine Systeme mehr zum Thema gemacht, sondern Politikfelder bzw. Inhalte.



Im Vordergrund steht also nicht mehr eine Unterrichtseinheit zum politischen System der BRD als Ganzem oder eine gesonderte Einheit zur Europäischen Union als Ganzer. Die Grundfrage lautet nicht mehr: Wie funktioniert die EU? Stattdessen wird gefragt: Wie wird in der Umweltpolitik Politik gemacht? Auf diese Weise werden exemplarisch einige Politikfelder behandelt, und zwar – das ist der entscheidende Punkt – unter Berücksichtigung aller relevanten Ebenen und vor allem der Verflechtungen zwischen ihnen. Damit reagiert die Policy-Didaktik auf die Bedeutung funktionaler Differenzierung, wie sie in der Einleitung zu diesem Abschnitt betont wurde.

 Politikbegriff

Ihren Namen verdankt die Policy-Didaktik dem Umstand, dass sie die inhaltliche Dimension von Politik (policy) zum Ausgangspunkt nimmt. Das bedeutet aber keineswegs, dass sie sich auf diese Dimension beschränkt. Der Policy-Didaktik liegt der etablierte Politikbegriff zugrunde, der drei Politikdimensionen unterscheidet: Institutionen (polity), Prozesse (politics) und Inhalte (policy).

Diese drei Dimensionen gilt es auf allen Ebenen zu untersuchen (außer natürlich auf der individuellen Ebene, die eine besondere Stellung einnimmt). Im Vergleich zur traditionellen Didaktik erfolgt jedoch eine Akzentverschiebung. Steht dort die polity-Dimension im Mittelpunkt, wertet die Policy-Didaktik dagegen die beiden anderen Dimensionen auf (
» Einordnung der Policy-Didaktik). Wie das praktisch aussieht, zeigt der Abschnitt zur Umsetzung des Ansatzes am Beispiel der Umweltpolitik.

 Ziele des Ansatzes

Das wesentliche Ziel der Policy-Didaktik besteht darin, Politik zu verstehen, wie sie heute abläuft. Und da sind grundlegende Unterschiede auszumachen gegenüber dem Politikverständnis, das den traditionellen didaktischen Ansätzen zugrundeliegt, die im Rahmen und für den Rahmen des Nationalstaats entwickelt wurden. Letztlich geht es darum, die politikwissenschaftliche Diskussion der letzten rund 15 Jahre in die politische Bildung einzubringen, denn das ist bislang nicht ausreichend geschehen.



Der Fokus liegt auf dem Mehrebenencharakter von Politik und hier besonders auf dem Zusammenwirken der Ebenen, auf den Netzwerken, in denen und mit deren Hilfe regiert wird. Es ist wichtig, dass vermittelt wird, dass Politik auf verschiedenen Ebenen gemacht wird, aber das ist nicht das Entscheidende. Das lernt man auch jetzt schon. Entscheidend ist, dass immer wieder beispielhaft deutlich wird, wie eng die Ebenen verflochten sind. Was multi-level governance ausmacht, muss deutlich werden:

  • Regieren in Netzwerken;

  • Zusammenwirken von staatlichen und privaten Akteuren;

  • neue nicht-hierarchische Steuerungsansätze wie offene Koordinierung;

  • etc.

Diese Aspekte, ohne die Politik im 21. Jahrhundert nicht zu verstehen ist, sind in der politischen Bildung noch nicht angekommen, und das liegt wohl nicht zuletzt daran, dass der traditionellen Politikdidaktik hier die Anschlussmöglichkeiten fehlen. Letztlich geht es also darum, die Lücke zu schließen, die sich zwischen politischer Bildung auf der einen Seite und ihrer primären Bezugswissenschaft, der Politikwissenschaft, auf der anderen Seite aufgetan hat.

[Seitenanfang]
 


Anmerkungen

[1]

Vgl. Joachim Detjen, "Europäische Unübersichtlichkeiten". Wie soll die politische Bildung mit der Kompliziertheit und Intransparenz der Europäischen Union umgehen?; in: Georg Weißeno (Hg.), Europa verstehen lernen. Eine Aufgabe des Politikunterrichts, Bundeszentrale für politische Bildung Schriftenreihe Band 423, Bonn 2004, v.a. S. 137-141.
Georg Weißeno, Konturen einer europazentrierten Politikdidaktik - Europäische Zusammenhänge verstehen lernen; in: ders. (Hg.), Europa verstehen lernen. Eine Aufgabe des Politikunterrichts, Bundeszentrale für politische Bildung Schriftenreihe Band 423, Bonn 2004, v.a. S. 113-122.
[zurück zum Text]
 

[2]

Dieses Konzept wird im folgenden Aufsatz entwickelt:
Georg Weißeno, Konturen einer europazentrierten Politikdidaktik - Europäische Zusammenhänge verstehen lernen; in: ders. (Hg.), Europa verstehen lernen. Eine Aufgabe des Politikunterrichts, Bundeszentrale für politische Bildung Schriftenreihe Band 423, Bonn 2004, S. 108-125.
Eine Diskussion des Ansatzes findet sich im Abschnitt "EU und Fachdidaktik".
[zurück zum Text]
 

[3]

Die optimistische Sicht kommt u.a. in folgendem Zitat zum Ausdruck: "Das fachliche Fundament ist da, auf dem ein europazentrierter Unterricht konzipiert werden kann" (Georg Weißeno, Konturen einer europazentrierten Politikdidaktik - Europäische Zusammenhänge verstehen lernen; in: ders. (Hg.), Europa verstehen lernen. Eine Aufgabe des Politikunterrichts, Bundeszentrale für politische Bildung Schriftenreihe Band 423, Bonn 2004, S. 115). Dem ist entgegenzuhalten, dass selbst universitäre Lehrbücher zum politischen System der BRD weit davon entfernt sind, die Mehrebenenverflechtung systematisch in die Darstellung miteinzubeziehen, wenn die europäische Ebene überhaupt eine nennenswerte Rolle in der Darstellung spielt.
[zurück zum Text]
 

[4]

Nach wie vor grundlegend zur Diskussion des EU-Mehrebenensystems: Markus Jachtenfuchs/Beate Kohler-Koch, Regieren im dynamischen Mehrebenensystem; in: dies. (Hg.), Europäische Integration, Opladen 1996, S. 15-44.
Mit "Mehrebenensystem" wird keine fest umrissene analytische Kategorie und schon gar keine Theorie bezeichnet. Das Gegenteil ist der Fall, wie die folgenden Zitate stellvertretend für viele skeptische Stimmen zeigen sollen: "Die zunehmend inflationäre Verwendung der Begriffe des 'Mehrebenensystems' und der 'Multi-Level Governance' kann freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Begriffe derzeit wenig mehr sind als eine deskriptive Metapher" (EDGAR GRANDE, Multi-Level Governance: Institutionelle Besonderheiten und Funktionsbedingungen des europäischen Mehrebenensystems; in: ders./Markus Jachtenfuchs (Hg.), Wie problemlösungsfähig ist die EU? Regieren im europäischen Mehrebenensystem, Baden-Baden 2000, S. 12). In die gleiche Richtung weist die Kritik von Arthur Benz: "Der Begriff des Mehrebenensystems ist bislang wenig präzise und weist bestenfalls eine Richtung für die Analyse. Klare Aussagen über die Funktionsweise und Eigendynamik dieser nicht-hierarchischen Strukturen findet man kaum" (ARTHUR BENZ, Politikverflechtung ohne Politikverflechtungsfalle. Koordination und Strukturdynamik im europäischen Mehrebenensystem; in: Politische Vierteljahresschrift 39, 1998, S. 359).
[zurück zum Text]
 

[5]

Übereinstimmung herrscht insbesondere in folgenden Punkten: "Politikwissenschaftliche Überlegungen zum Mehrebenensystem lassen es als obsolet erscheinen, Europa als quasi außenpolitischen Gegenstand zu betrachten. Die Verwobenheit lässt Europa zunehmend einen innenpolitischen Gegenstand aller Mitgliedsländer werden. Es ist deshalb nicht mehr gerechtfertigt, die Institutionen und Politikfelder der Bundesrepublik und der Europäischen Union immer nur nebeneinander zu behandeln. Die traditionelle Unterrichtssequenz über die Europäische Union ist eigentlich obsolet geworden, denn die europäischen Themen sind zugleich nationale" (S. 112). Allerdings scheint Weißeno die Tragweite dieses Sachverhalts zu unterschätzen, wenn er kurz darauf ausführt: "Eine europazentrierte Politikdidaktik erfordert kein umfassend neues Konzept" (S. 113). Obwohl Weißeno der traditionellen Politikdidaktik vorwirft, national verhaftet zu sein, scheint das Gleiche in abgeschwächtem Maße auch von seinem Konzept der europazentrierten Politikdidaktik zu gelten, wenn er schreibt: "Ein europazentrierter Politikunterricht integriert permanent die europäischen Diskussionszusammenhänge in die Aufarbeitung 'nationaler' Themen" (S. 124). Das würde bedeutet, dass sich an den Themen nichts ändert, dass sogar auf eine Unterrichtseinheit zur Europäischen Union verzichtet werden kann, also nur noch "nationale Themen" unterrichtet werden, diese allerdings angereichert um "europäische Diskussionszusammenhänge", was immer man sich darunter vorstellen soll. Festzuhalten bleibt, dass Weißeno zuzustimmen ist, wenn er für eine "Perspektivenerweiterung" (S. 123) um die europäische Ebene plädiert. Alles weitere scheint noch nicht zu Ende gedacht zu sein und weist Widersprüche auf.
(Alle Zitate aus: Georg Weißeno, Konturen einer europazentrierten Politikdidaktik - Europäische Zusammenhänge verstehen lernen; in: ders. (Hg.), Europa verstehen lernen. Eine Aufgabe des Politikunterrichts, Bundeszentrale für politische Bildung Schriftenreihe Band 423, Bonn 2004, S. 108-125.)
[zurück zum Text]

[Seitenanfang]
 

   

[Home]     [Feedback]     [Suche]     [Site Map]           [Vermittlungsprobleme]     [Forschungsstand]     [Policy-Didaktik]     [Literatur]