Dissertation   Wie kann man komplexe Themen wie Globalisierung oder europäische Integration vermitteln?

 

 

(» Ragnar Müller)

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 Policy-Didaktik

Die Themen Globalisierung und europäische Integration haben mittlerweile einen Grad an Komplexität erreicht, der dazu führt, dass bei den Beteiligten in der Wissensvermittlungskette Überforderungstendenzen zu beobachten sind, ganz zu schweigen von den Adressaten politischer Bildung.

Warum das nicht verwundern kann, wird im Abschnitt zu den Vermittlungsproblemen deutlich. Wie es sich äußert, zeigt der Abschnitt zum Forschungsstand an ausgewählten Beispielen (siehe vor allem die Abschnitte EU und Fachwissenschaft und Methoden der EU-Vermittlung).

Erste Überlegungen, wie Abhilfe geschaffen werden könnte, werden ebenfalls im Abschnitt zum Forschungsstand dargestellt, wobei sich allerdings zeigt, dass diese Ansätze erst rudimentär entwickelt sind und wohl - zumindest was die "europazentrierte Politikdidaktik", weniger was den Ansatz "Globales Lernen" betrifft - nicht weiterverfolgt werden.


Policy-Didaktik:


» Einleitung

» Ziele des Ansatzes

» Einordnung des Ansatzes

» Beispiel für die Umsetzung
 


 Hintergrund und Voraussetzung für den Ansatz

Der Abschnitt zu den Vermittlungsproblemen, der zugleich als kurze inhaltliche Einführung in die beiden Themen EU und Globalisierung konzipiert ist, hat weiterhin auf zwei Dinge aufmerksam gemacht, die für die Entwicklung eines neuen Vermittlungsansatzes in diesem Abschnitt von besonderer Bedeutung sind. Dabei handelt es sich um funktionale Differenzierung und darum, dass es bei beiden Themen letztlich darum geht, Politik im 21. Jahrhundert zu verstehen. Beides zusammen bildet Hintergrund und Voraussetzung für den Ansatz "Policy-Didaktik" und soll im folgenden kurz erläutert werden.

 a) Funktionale Differenzierung

Bei beiden Phänomenen - Globalisierung wie europäischer Integration - zählt eine ausgeprägte funktionale Differenzierung zu den hervorstechendsten Merkmalen. Was bedeutet das?

Im Fall des EU-Mehrebenensystems bedeutet es, dass die Elemente des Systems in verschiedenen Politikbereichen auf völlig unterschiedliche Weise zusammenwirken. Was in der Umweltpolitik gilt, gilt in der Agrarpolitik nicht, was in der Außenhandelspolitik gilt, gilt in anderen Außenpolitikbereichen ganz und gar nicht usw.

Diese Unterschiede treten nicht nur zwischen, sondern auch innerhalb der häufig unterschiedenen drei Säulen des EU-Systems auf (
» Komplexität als EU-Vermittlungsproblem).

Dem hat die Europaforschung Rechnung getragen und stellt in den letzten Jahren weniger das System als Ganzes in den Mittelpunkt als vielmehr Formen des Regierens (Governance). Dadurch kann trotz der sui generis-Qualität des Gebildes EU erreicht werden, dass man EU-Entscheidungen mit denen anderer Entscheidungsproduzenten vergleichen kann.

Hierin liegt ein interessanter Ansatzpunkt, um dem Vermittlungsproblem der fehlenden Referenzebene entgegenzuwirken (» siehe entsprechender Abschnitt). Festzuhalten bleibt, dass die Vergemeinschaftung verschiedener Politikbereiche unterschiedlich weit fortgeschritten ist bzw. dass es erhebliche Differenzen bezüglich des Europäisierungsgrads zwischen Politikfeldern gibt.

Im Fall der Globalisierung gilt analog, dass es mehr und weniger globalisierte Bereiche gibt. Auch hier existiert - analog zu den Säulen im Fall der EU - eine mittlere Aggregationsstufe, die Dimensionen der Globalisierung (
» Komplexität als Vermittlungsproblem beim Thema Globalisierung). Wie im Fall der EU-Säulen gilt auch hier, dass der Globalisierungsgrad nicht nur zwischen, sondern auch innerhalb der Dimensionen variiert.

Während es aber bei der EU keine Probleme bereitet, auf der nächsthöheren Aggregationsstufe von einem EU-Gesamtsystem zu sprechen, auch wenn dessen angemessene Beschreibung ein schwieriges Unterfangen ist, gibt es hierzu im Fall der Globalisierung keine analoge Kategorie. In der wissenschaftlichen Globalisierungsdebatte wurde schon früh erkannt, dass "Gesamtsichten" mehr Verwirrung stiften als Erkenntnis versprechen, weshalb verstärkt auf empirische Politikfeldanalysen zurückgegriffen wurde. Festzuhalten bleibt, dass es erhebliche Differenzen bezüglich des Globalisierungsgrads zwischen Politikfeldern gibt.

 b) Politik im 21. Jahrhundert

Zum zweiten
wurde im Abschnitt zu den Vermittlungsproblemen deutlich, dass beide Themen untrennbar und auf vielfältige, z.T. paradoxe Weise miteinander verbunden sind (
» siehe entsprechender Abschnitt). Die europäische Integration kann als Teilprozess oder sogar als Avantgarde des Globalisierungsprozesses interpretiert werden. Bei beiden Themen geht es letztlich um Grundfragen der Politikwissenschaft nach Demokratie, Legitimation etc., um tiefgreifende Entgrenzungs- und Transformationsprozesse, um den Wandel von Staatlichkeit, kurz: es geht bei beiden Themen um Politik im 21. Jahrhundert. Anders gesagt: Wer verstehen will, wie Politik im 21. Jahrhundert aussieht, wer sich mit Formen des "Regierens in entgrenzten Räumen" [1] beschäftigt, kommt an beiden Themen nicht vorbei.

Daraus folgt, dass es möglich sein sollte und hilfreich sein könnte, eine gemeinsame Lösung für die Vermittlungsprobleme bei beiden Themen zu finden. Und mit dem Ansatz der Policy-Didaktik wird ein solcher Lösungsvorschlag in diesem Abschnitt zur Diskussion gestellt. Die Policy-Didaktik kann als Versuch aufgefasst werden, Politik zu vermitteln, die sich in entgrenzten Räumen abspielt. Der Abschnitt gliedert sich in drei Teile:

  • Ziele des Ansatzes: In Abgrenzung von der traditionellen und der europazentrierten Politikdidaktik wird die Grundidee des Ansatzes herausgearbeitet. Ausgehend von einzelnen Politikfeldern soll die Policy-Didaktik ermöglichen, Politik - das Regieren in entgrenzten Räumen - auf der Höhe des politikwissenschaftlichen Forschungsstands zu vermitteln ... [... mehr]

  • Einordnung des Ansatzes: Die aktuelle politikdidaktische Diskussion gruppiert sich um die Pole "Politische Bildung" und "Demokratie-Lernen". Die Policy-Didaktik orientiert sich vor allem an den didaktischen Prinzipien Wissenschaftsorientierung und Exemplarität. Im Zuge der Verortung des Ansatzes kommen Varianten, Vorzüge und Probleme der Policy-Didaktik zur Sprache ... [... mehr]

  • Beispiel für die Umsetzung des Ansatzes: Anhand des Politikfelds Umweltpolitik wird skizziert, wie die Policy-Didaktik in der Praxis aussehen könnte. Am Beispiel des Klimawandels können ebenenübergreifende Bezüge herausgearbeitet werden ... [... mehr]


 Zusammenfassung der wesentlichen Elemente des Ansatzes

Vor dem Hintergrund funktionaler Differenzierung, Entgrenzung und den damit verbundenen grundlegenden Problemen für demokratische Politik versucht der Ansatz der Policy-Didaktik, die bislang in der politischen Bildung vorherrschende polity-zentrierte Ausrichtung in Richtung auf die policy-Dimension zu öffnen. Nicht mehr Systeme (EU-System, politisches System der BRD etc.) werden zum Ausgangspunkt gemacht, sondern konkrete Entscheidungsprozesse in Politikfeldern (» Grundidee).

Hinzu kommt - und das ist der entscheidende Punkt -, dass bei der exemplarischen Beschäftigung mit ausgewählten Politikfeldern alle Ebenen einbezogen und die Verbindungen zwischen ihnen im Sinne der verflochtenen Mehrebenenpolitik herausgearbeitet werden. Dadurch versucht die Policy-Didaktik, die gegenwärtig vorherrschende Tendenz zur isolierten Behandlung der verschiedenen Politikebenen zu überwinden.

Eine policy-didaktische Einheit zur Umweltpolitik umfasst also Abschnitte zur internationalen Umweltpolitik, berücksichtigt EU-Umweltpolitik ebenso wie nationale Maßnahmen und bezieht lokale Initiativen und individuelle Handlungsmöglichkeiten mit ein. An Themen wie der Agenda 21 oder der CO2-Emissionsrichtlinie schließlich kann das Zusammenwirken aller Ebenen exemplarisch verdeutlicht werden (» Beispiel Umweltpolitik).

So versucht der Ansatz, den Anschluss an die politikwissenschaftlichen Diskussionsprozesse seit dem Ende des Kalten Krieges zu finden, die bislang in der Politikdidaktik noch keine ausreichende Berücksichtigung erfahren haben. Darüber hinaus bietet er die Chance, anschlussfähig zu bleiben, sollte die intensiv betriebene governance-Forschung mit wichtigen Erkenntnissen zum Regieren in entgrenzten Räumen aufwarten (» Ziele). [2]

Hier wird deutlich, dass neben einer starken kognitiven Komponente das didaktische Prinzip der Wissenschaftsorientierung eine zentrale Rolle für die Policy-Didaktik spielt. Das bedeutet für die Verortung des Ansatzes in der aktuellen politikdidaktischen Diskussion ("Politische Bildung" versus "Demokratie-Lernen"), dass er dem Pol "Politische Bildung" zuzuordnen ist (» Einordnung).

Dabei bildet die Policy-Didaktik weder eine Alternative zur politischen Bildung, noch bedeutet sie eine prinzipiell neue Ausrichtung derselben. Vielmehr herrscht bei Methoden und didaktischen Prinzipien Kontinuität vor. Die hauptsächliche Änderung besteht in einer anderen Einbettung. Während die etablierte Politikdidaktik eher politikebenenspezifisch vorgeht, wobei die Ebenen isoliert voneinander thematisiert werden, und das Hauptaugenmerk auf die polity-Dimension von Politik richtet, nimmt die Policy-Didaktik die policy-Dimension als Ausgangspunkt, sie ist also eine politikfeldspezifische Politikdidaktik.

In einem solchen Rahmen werden "Globalisierung" und "europäische Integration" nicht als Themen aufgefasst, sondern als Querschnittsaufgaben. Als Themen sprengen sie den Rahmen des in der Schule und Erwachsenenbildung Vermittelbaren, als Querschnittsaufgaben werden sie greifbarer. Damit wird gleichzeitig das Problem der wechselseitigen Ignorierung beider Themenkomplexe gelöst.

Hier schließt sich der Kreis. Aufgabe der Arbeit ist es, eine Antwort auf die Frage zu finden, wie man komplexe Themen wie EU oder Globalisierung vermitteln kann. Dabei ist neben den Vermittlungsproblemen die gegenwärtig mangelnde konzeptionelle Berücksichtigung von Europäisierung und Globalisierung in Politikdidaktik wie politischer Bildung in Rechnung zu stellen (» Forschungsstand).

Mit der Policy-Didaktik wird ein Lösungsversuch zur Diskussion gestellt, der beiden Themen gleichermaßen gerecht zu werden versucht und sich auf der Höhe des politikwissenschaftlichen Forschungsstands bewegt. Auf europäischer wie globaler Ebene resultieren die konzeptionellen Schwierigkeiten wesentlich aus Entgrenzungsprozessen.
Hauptziel des Ansatzes ist dann auch das Verstehen von Politik in entgrenzten Räumen, das heute zum politischen Grundwissen gerechnet werden muss (» Ziele).


Feedback: Für diesen wie für alle anderen Teile der Arbeit gilt, dass ich mich über Kritik und Anregungen freue und im Sinne einer Diskussion und Weiterentwicklung der hier präsentierten Thesen darauf angewiesen bin. Dafür steht ein Formular zur Verfügung: » zum Kontaktformular

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Anmerkungen:

[1]

So lautet der Titel der nach wie vor grundlegenden Publikation zum Thema:
Beate Kohler-Koch (Hg.), Regieren in entgrenzten Räumen, PVS-Sonderheft 29, Opladen 1998.
In mehreren Beiträgen geht es um Versuche der konzeptionellen Erfassung entgrenzter Politik, wobei europäische Integration und Globalisierung - im Wechsel oder zusammen - die Themen sind.
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[2]

Wie bei der Policy-Didaktik als Vermittlungsansatz geht es bei governance als Forschungsperspektive nicht um "die EU an sich", sondern um verschiedene Erscheinungsformen des Regierens wie Netzwerke, Koordinierung, hierarchische Steuerung etc. (vgl. Markus Jachtenfuchs/Beate Kohler-Koch, Regieren und Institutionenbildung; in: dies. (Hg.), Europäische Integration, Opladen 20032, S. 41). Dieser Ansatz ermöglicht selbst beim EU-System als Gebilde sui generis Vergleichbarkeit mit governance in anderen Zusammenhängen. Einschränkend muss ergänzt werden, dass die governance-Forschung zwar Konjunktur hat, aber mit erheblichen Problemen zu kämpfen hat, die schon auf der begrifflichen Ebene beginnen. So bezeichnet Julia von Blumenthal den omnipräsenten Begriff als "anerkannt uneindeutig" (Governance - eine kritische Zwischenbilanz; in: Zeitschrift für Politikwissenschaft 4/2005, S. 1150). Einigkeit herrscht darüber, dass governance "in den weiten Kontext der Analyse und Beschreibung des Wandels von Staatlichkeit" gehört (S. 1153), es also wie bei der Policy-Didaktik um Prozesse der funktionalen Differenzierung und Entgrenzung geht. Eine grundlegende Einführung in die Thematik, die alle Politikebenen einbezieht, bietet der folgende Band:
Arthur Benz (Hg.), Governance - Regieren in komplexen Regelsystemen. Eine Einführung, Wiesbaden 2004.
Das Standardwerk für multi-level-governance auf europäischer Ebene ist:
Liesbet Hooghe/Gary Marks, Multi-Level Governance and European Integration, Lanham 2001.
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