Dabei geht es nicht darum, in Anlehnung an namhafte wissenschaftliche
Globalisierungskritiker das, was als "Globalisierung" bezeichnet wird,
als Mythos zu entlarven. Vielmehr gilt: "Nicht die Globalisierung
selbst, sondern der verbreitete Glaube, ihre dominante
Erscheinungsform, die neoliberale Modernisierung, mehre den Wohlstand
aller Wirtschaftsstandorte (Städte, Regionen, Nationen) und
Bürger/innen ist ein Mythos, welcher von den bestehenden
Herrschaftsverhältnissen, sozialer Ungleichheit und Machtmissbrauch
ablenkt." [2]
Globalisierungsbegriff
"Globalisierung" wird also verstanden als Verschleierungsbegriff in
Diensten der "zutiefst inhumanen Ideologie des Neoliberalismus" bzw.
des "neoliberalen Wettbewerbswahns". [3] Sie dient
als Rechtfertigungsformel für das neoliberale Projekt einer
Standortpolitik, die "eine Umverteilung von Reichtum, Macht und
Lebenschancen" bezwecke. "Was als 'Modernisierung' klassifiziert wird,
ist teils nur die Rücknahme demokratischer und sozialer Reformen bzw.
Regulierungsmaßnahmen, mit denen die Staaten das Kapital einer
gewissen Kontrolle unterwarfen. Es geht um die Ökonomisierung (fast)
aller Gesellschaftsbereiche, deren Restrukturierung nach dem
privatkapitalistischen Marktmodell und die Generalisierung seiner
betriebswirtschaftlichen Effizienzkriterien und Konkurrenzmechanismen.
Man kann von einem 'Wirtschaftstotalitarismus' sprechen ..."
[4]
Ohne diese Bestandsaufnahme vertiefen zu wollen, sollte noch
hinzugefügt werden, dass in diesem Verständnis von Globalisierung
natürlich mannigfaltige Folgeprobleme zu gewärtigen sind, die von
Gefahren für die Demokratie über Wohlstandschauvinismus bis hin zu
"Standortnationalismus" [5] als Nährboden für
Rechtsextremismus reichen.
Aufgaben der politischen Bildung
Vor dem Hintergrund des eben Geschilderten kann nicht überraschen,
dass es als Aufgabe der politischen Bildung gesehen wird, diesen
Tendenzen entgegenzuwirken: "Die politische Bildung könnte dazu
beitragen, diese Verkürzung des Begriffs 'Globalisierung' auf eine
Modernisierung der Gesellschaft, wie sie das kritisierte Konzept des
'Standortwettbewerbs' impliziert, durch Entwicklung demokratischer und
sozialer Alternativen aufzubrechen und die neoliberale Hegemonie
schrittweise zu überwinden." [6]
Probleme des Ansatzes
Dem von Butterwegge skizzierten Ansatz des "solidarischen Lernens"
kann professionelle poltische Bildung nicht folgen, da er weit davon
entfernt ist, ergebnisoffen zu sein, und damit gegen zentrale
didaktische Prinzipien, wie sie sich in der deutschen
politikdidaktischen Debatte herausgebildet haben (»
didaktische Prinzipien), verstößt. Schon die Analyse ist einseitig
und wird der kontroversen (nicht nur politik-) wissenschaftlichen
Diskussion nicht gerecht. Was die Zielsetzungen betrifft, führt der
Autor selbst aus:
"Um die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und wohlfahrtsstaatlichen
Weichenstellungen, die unter dem Stichwort 'Globalisierung'
vorgenommen werden, beeinflussen zu können, muss die politische
Bildung mit kritischem Blick für die Realität darüber informieren und
aufklären, sich einmischen und Partei für die Opfer einer neoliberalen
Modernisierung ergreifen, auch wenn ihr das von interessierter Seite -
wie schon so oft in der Vergangenheit - den Vorwurf mangelnder
Objektivität, Sachlichkeit und Wissenschaftlichkeit einträgt."
[7]
Genau die von Butterwegge antizipierten Vorwürfe sowie einige mehr
lassen sich in der Tat gegen seinen Ansatz ins Feld führen.
"Solidarisches Lernen" vermeint nämlich nicht nur die richtigen Fragen
zu kennen, sondern verfügt auch über die "richtigen Antworten", wie
die folgende Passage verrät: "Eignet sich der Markt tatsächlich als
gesamtgesellschaftlicher Regelungsmechanismus, obwohl er auf seinem
ureigenen Terrain, der Volkswirtschaft, ausweislich einer sich auch
nach dem Regierungswechsel 1998 verfestigenden Massenarbeitslosigkeit,
gegenwärtig kläglich versagt? Darauf die richtigen Antworten zu
geben heißt, den Neoliberalismus mitsamt seinem Konzept der
'Standortsicherung', aber auch den sich modernisierenden
Rechtsextremismus, Nationalismus und Rassismus erfolgreich zu
bekämpfen." [8]
Folgerungen für diese Arbeit
Wie auch im analogen Abschnitt zur fachdidaktischen Diskussion
hinsichtlich der EU (»
EU und
Politikdidaktik) ergibt sich nach Betrachtung des Ansatzes von
Butterwegge, dass bei beiden komplexen und kontroversen Großthemen -
EU und Globalisierung - besonders auf die grundlegenden didaktischen
Prinzipien Überwältigungsverbot und Kontroversität zu achten ist, die
an anderer Stelle im Rahmen dieser Arbeit vorgestellt werden (»
didaktische Prinzipien).
Beide Themen scheinen in besonderem Maße zu einer einseitigen
Ausrichtung zu verführen. Ging es dort um die Problematik einer
"Erziehung zu Europa", die sich - wie wünschenswert sie auch immer
sein mag - den Vorwurf mangelnder Professionalität gefallen lassen
muss, so geht es hier um die - sicherlich ebenfalls mit den besten
Absichten verbundene - Parteinahme zugunsten der "Opfer der
Globalisierung".
Daneben lassen sich dem Ansatz des "solidarischen Lernens" aber auch
wichtige Anregungen für die Belange dieser Arbeit - die Skizzierung
von Vermittlungsproblemen und Lösungsansätzen am Beispiel der Themen
EU und Globalisierung - entnehmen. Die Tatsache beispielsweise, dass
es sich bei der Globalisierung um ein hochaktuelles, allgegenwärtiges
und hochgradig kontroverses [9] Thema handelt,
stellt offensichtlich besondere Anforderungen an politische Bildung
und Bildnerinnen (»
Vermittlungsprobleme beim Thema
Globalisierung).
Außerdem weist der Ansatz auf einen zentralen Aspekt der Thematik hin,
nämlich auf die ideologische oder rhetorische Dimension, die beim
Thema Globalisierung in beispielloser Weise ausgeprägt ist. Es reicht
für die politische Bildungsarbeit nicht, über Globalisierung zu
sprechen, man muss auch und gerade darüber sprechen, wie über
Globalisierung gesprochen wird, wie der Verweis auf - oder die Drohung
mit - Globalisierung instrumentalisiert wird. [10]
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Anmerkungen:
[1] |
CHRISTOPH BUTTERWEGGE,
"Globalisierung, Standortsicherung und Sozialstaat" als Thema der
politischen Bildung; in: ders./Gudrun Hentges, (Hg.), Politische
Bildung und Globalisierung, Opladen 2002, S. 75.
Eine Auswahl wichtiger globalisierungskritischer
Literatur findet sich im Rahmen des Literaturverzeichnisses (»
Literatur
zum Thema "Globalisierungskritik")
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|
[2] |
CHRISTOPH BUTTERWEGGE,
"Globalisierung, Standortsicherung und Sozialstaat" als Thema der
politischen Bildung; in: ders./Gudrun Hentges, (Hg.), Politische
Bildung und Globalisierung, Opladen 2002, S. 77.
[zurück zum Text]
|
[3] |
CHRISTOPH BUTTERWEGGE,
"Globalisierung, Standortsicherung und Sozialstaat" als Thema der
politischen Bildung; in: ders./Gudrun Hentges, (Hg.), Politische
Bildung und Globalisierung, Opladen 2002, S. 78.
[zurück zum Text]
|
[4] |
CHRISTOPH BUTTERWEGGE,
"Globalisierung, Standortsicherung und Sozialstaat" als Thema der
politischen Bildung; in: ders./Gudrun Hentges, (Hg.), Politische
Bildung und Globalisierung, Opladen 2002, S. 82.
[zurück zum Text]
|
[5] |
CHRISTOPH BUTTERWEGGE,
"Globalisierung, Standortsicherung und Sozialstaat" als Thema der
politischen Bildung; in: ders./Gudrun Hentges, (Hg.), Politische
Bildung und Globalisierung, Opladen 2002, S. 88.
[zurück zum Text]
|
[6] |
CHRISTOPH BUTTERWEGGE,
"Globalisierung, Standortsicherung und Sozialstaat" als Thema der
politischen Bildung; in: ders./Gudrun Hentges, (Hg.), Politische
Bildung und Globalisierung, Opladen 2002, S. 93-94.
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|
[7] |
CHRISTOPH BUTTERWEGGE,
"Globalisierung, Standortsicherung und Sozialstaat" als Thema der
politischen Bildung; in: ders./Gudrun Hentges, (Hg.), Politische
Bildung und Globalisierung, Opladen 2002, S. 102.
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|
[8] |
CHRISTOPH BUTTERWEGGE,
"Globalisierung, Standortsicherung und Sozialstaat" als Thema der
politischen Bildung; in: ders./Gudrun Hentges, (Hg.), Politische
Bildung und Globalisierung, Opladen 2002, S. 100 [Hervorhebung
durch den Verfasser].
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|
[9] |
"Kaum ein anderer Begriff der
internationalen Beziehungen hat derart viele hitzige Debatten
ausgelöst, Erklärungsansätze hervorgerufen und Missverständnisse
erzeugt." (JOHANNES VARWICK, Globalisierung; in: Wichard Woyke
(Hg.), Handwörterbuch Internationale Politik, Bundeszentrale für
politische Bildung, Bonn 1998, S. 111).
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|
[10] |
Die Instrumentalisierung von
"Globalisierung" - und damit die ideologisch-rhetorische Dimension
der Thematik - wird in zahlreichen Veröffentlichungen
analysiert. Beispielhaft sei folgende Publikation genannt, bei der
dieser Aspekt im Zentrum der Argumentation steht:
ULRICH BECK, Was ist Globalisierung? Irrtümer des Globalismus -
Antworten auf Globalisierung, Frankfurt/Main 1997. Dort ist auf
Seite 42 der vielzitierte Satz zu lesen: "Globalisierung ist
sicher das am meisten gebrauchte - missbrauchte - und am
seltensten definierte, wahrscheinlich missverständlichste,
nebulöseste und politisch wirkungsvollste (Schlag- und
Streit-)Wort der letzten, aber auch der kommenden Jahre."
Zugunsten einer größeren begrifflichen Klarheit unterscheidet Beck
"Globalisierung" (Prozesse der Verflechtung und Entgrenzung) und
"Globalismus" (der neoliberalen Globalisierungsvariante
zugrundeliegende Ideologie). Diese hilfreiche Unterscheidung wurde
von anderen deutschsprachigen Autoren übernommen, z.B.:
CLAUS LEGGEWIE, Die Globalisierung und ihre Gegner, München 2003.
JÖRG DÜRRSCHMIDT, Globalisierung, Bielefeld 2002.
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